In meinem Artikel vom Mai dieses Jahres (Warum Krisenprojekte lieber abgeschrieben als saniert werden) hatte ich meine Eindrücke und Überlegungen über die Hemmnisse, in verfahrenen Situationen neutrale und kompetente Hilfe in Anspruch zu nehmen, beschrieben. Die Fehlerkultur ist eine der Ursachen für Krisenprojekte und vor allem anhaltende bzw. wiederkehrende Projektkrisen und deshalb Thema meines Artikels heute.
Unterschiedliche Behandlung von Krisen in Unternehmen vs. Projekten
Bei Unternehmens-Krisen ist es ganz selbstverständlich, einen Krisen-erfahrenen Berater („Turn-around Manager“) ins Haus zu holen, um die Firma mit seinem unabhängigen Blick ohne Betriebs-Scheuklappen wieder in Schwung zu bringen. Bei Investitionen und Projekten in Schieflage, auch wenn sie noch so teuer werden oder strategisch wichtig sind, tun sich die verantwortlichen Führungskräfte hingegen ungleich schwerer. Vor allem einzugestehen, dass sie in ein gefährliches Fahrwasser gekommen sind, aus dem sie mit eigenen Mitteln und den Fähigkeiten ihres Projektmanagements nicht mehr ohne hohe Verluste herauskommen. Eigentlich unverständlich, denn ein gescheitertes Projekt nützt niemandem mehr, es ist einfach eine teure Abschreibung, oder? Warum dann nicht auch hier ganz selbstverständlich einen erfahrenen Externen fragen, wie man doch noch einen Nutzen und ROI aus dem Krisenprojekt holen kann?!
Ich habe nach der breiten Publikation meines Artikels im Oktober eine große Menge Feedback bekommen und mich darüber mit vielen Kollegen und Kunden intensiv unterhalten. Die Ergebnisse will ich nun hier zusammenfassend wiedergeben, die Diskussion aber breit gestreut weiter anregen. Idealerweise möchte ich sie hier zusammenführen, die Information hier allen Beteiligten und Interessierten zur Verfügung stellen. Ich freue mich daher, wenn Sie meine Anregungen in den verschiedenen Medien aufnehmen und dann hier die Kommentarfunktion zur intensiven, gemeinsamen Diskussion nutzen.
Welche Erkenntnisse über die Behandlung von Krisenprojekten konnte ich also sammeln?
- Die Ursachen für schwerwiegende Probleme in Projekten sind tatsächlich meist recht einfacher Natur. Was für mich als Fachmann trivial erscheint, ist offenbar in der Praxis weitverbreitet ein Mysterium: Es werden immer wieder und überall die gleichen, grundlegenden Fehler gemacht. In bestimmten Melangen lösen sie dann den unheilvollen Strudel aus, in den das Projekt gezogen wird. Und die, die es da hinein gesteuert haben, finden den Weg allein kaum mehr heraus. Hätten sie die Gefahr gesehen, wären sie ja erst gar nicht da hinein gekommen !
- Es gibt kulturelle Unterschiede im Umgang mit der Krisensituation. Amerikanisch/englisch geführte Unternehmen lassen viel bereitwilliger und schneller „den Hammer kreisen“, um den Ursachen auf den Grund zu gehen und die Probleme auszuräumen, als deutsche. In Deutschland scheint wohl der Gesichtsverlust schwerer zu wiegen als der ökonomische Erfolg – sehr unvernünftig und teuer !
- Aus dem gleichen Grund wird in Ersteren auch viel eher kompetente, externe Hilfe in Anspruch genommen. Wenn man die Lösungskompetenz nicht im Haus hat, kauft man sie eben ein. Das ist effizienter und schneller, und gerade in Krisensituationen ist Zeit ja bekanntermaßen Geld !
- Konzerne verhalten sich anders als Mittelständler. In großen Organisationen sind Projektmanagement-Prozesse meist gut entwickelt und dokumentiert. Die konsequente Anwendung steht und fällt aber mit der individuellen Qualifikation der Projektleiter und den Prioritäten des Managements. Bei Schwierigkeiten gilt der erste Blick der Verantwortlichen oft der eigenen Karriere. Die Probleme werden gern ausgeblendet, schön geredet oder nicht berichtet. Im Zweifelsfall werden Schuldige gesucht, möglichst in einer anderen Abteilung. Das Management ist häufig nicht richtig eingebunden. Es erfährt erst spät von den Problemen und entscheidet sich noch später zum konsequenten Gegensteuern. Wegen der meist starken Finanzkraft der Unternehmen werden Krisenprojekte auch leichter eingestellt und abgeschrieben; manche versanden auch einfach, wenn sie nicht „von Oben“ getrieben werden.
- Im Mittelstand entscheiden die Verantwortlichen zwar schneller und konsequenter – es geht ja auch meist um ihr eigenes Geld. Aber Projektmanagement als Disziplin ist selten sehr reif und ausgeprägt. Zudem haben gewachsene Unternehmenskultur und jahrzehntelang sorgenfreie Marktstellung oft eine sehr funktionale, produktorientierte Sichtweise geschaffen, in der die Geschäftsführung ihre operative Rolle in ihren Projekten noch nicht richtig gefunden hat. Mangels PM-Kapazitäten betreuen die Projektleiter in der Regel (zu) viele Projekte gleichzeitig. Sie sind zudem tief in der fachlichen Arbeit eingebunden. Externe Berater oder Ressourcen sind vermeintlich zu teuer, kennen den Betrieb ja nicht, und sind außerdem ein potenzielles Leck für Unternehmens-Interna. Hier ist es eher der gefährdete Nimbus des Patriarchats, der zu lang andauernder Hoffnung auf Selbstheilung verleitet und effizienten und effektiven Lösungen häufig im Weg steht.
- Bei der Öffentlichen Hand sind die Probleme meist schon „im System“ vorprogrammiert. Die Vorschriften, z.B. VOB und HOAI, regeln Ausschreibung und Vergabe bis ins Kleinste. Danach sollen Projekte nach Vertrag laufen. Projektmanagement existiert häufig gar nicht oder ist auf Koordination ohne Kompetenzen begrenzt. Meist wird es mit an den Auftragnehmer vergeben. Die Vorschrifts-Gläubigkeit wäscht von allen Unzulänglichkeiten außerhalb der Vorschriften rein und verstellt eigenverantwortlichen Verbesserungsinitiativen den Weg. Da muss schon ein ganz prominenter „Sündenfall“, hoch politisch oder „too big to die“, her und mit einem ganz prominenten „Krisenmanager“ aus dem politischen Umfeld verdonnert werden, damit grundlegende Weichenstellungen erfolgen. Dessen eigene Kompetenz als Projektsanierer lasse ich hier einmal offen…
- Projekte bei Konzernen und Öffentlicher Hand leiden auch häufig sehr unter mangelhafter Besetzung der Führungspositionen in den Projekten. Zur Vereinfachung der Beschaffung verlässt man sich auf „Preferred Suppliers“ oder arbeitet gleich nur mit den großen (und teuren) Beratungshäusern zusammen – ohne Ansehen der tatsächlichen Qualität der eingekauften Ressourcen. Die Preislisten des Einkaufs und die Rahmenverträge der Personalvermittler geben selten genügend Spielraum für ein adäquates Staffing im Projektmanagement her. Viele verantwortliche Bereichsleiter müssen deshalb mit dem vorlieb nehmen, was sie für kleines Geld bekommen – auch im Krisenfall !
Sanierung lohnt (fast) immer
Fast allen Projekten in Schieflage ist jedoch eines gemeinsam: Sie könnten mit wenig Aufwand und ein wenig unparteiischer Unterstützung zu einem noch halbwegs erfolgreichen Abschluss gebracht werden – billiger, als so weiter zu machen wie bisher ! Allein die Versachlichung von festgefahrenen Positionen und Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen mit konkreten, zielführenden Maßnahmen wäre bereits die „halbe Miete“. Der Wille dazu ist im Projekt in aller Regel vorhanden, die Bereitschaft dazu muss in den Köpfen der Verantwortlichen im Management stattfinden.
Nun zu Ihnen und Ihren Erfahrungen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hemmnisse, warum Projekte oft eher abgeschrieben als saniert werden? Schreiben Sie Ihren Kommentar, geben Sie Ihren Input zu der Diskussion um die Ursachen für Krisenprojekte, von der wir alle lernen können !
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