Leider gibt es wenige “Vorher-Nachher”-Untersuchungen, aber ein Fall aus meiner Praxis mag verdeutlichen, wie viel Geld durch Ignoranz gegenüber dem Wert von gutem Projektmanagement häufig verschenkt wird.
Der Fall:
Ein Systemhaus hatte ein Festpreisprojekt für die Implementierung eines Software-Systems verkauft. Es suchte nun mangels eigener, verfügbarer Kapazitäten einen Projektmanager für die “Auftragsabwicklung”. Ich hatte auf die Anfrage hin die Anforderungen und Komplexität der Aufgabe aufgenommen (Projekt-Profiling). Aus meinem Netzwerk PM-Professionals.eu hatte sich ein qualifizierter Kollegen angeboten. Das Vorstellungsgespräch ergab einen “Perfect Fit”. Nur beim Tagessatz konnte keine adäquate Übereinkunft erzielt werden, die für das Systemhaus “betriebswirtschaftlich darstellbar” gewesen wäre. Im Ergebnis wurde ein Projektleiter für 150 Euro pro Tag weniger engagiert, wohl wissend, dass dessen Qualifikation geringer war.
Ich gab dem Geschäftsführer zu Bedenken, dass er wohl den PM-Aufwand zu gering kalkuliert habe und bot ihm an, nach einem halben Jahr Projektlaufzeit kostenlos einen Projekt-Gesundheits-Check auf dieses Projekt durchzuführen.
Bestandsaufnahme nach sechs Monaten:
Mein Audit nach sechs Monaten ergab deutliche Verzögerungen des geplanten Projektfortschritts durch Unterschätzen des Arbeitsaufwandes bei der Programmierung, Brüche in der Planung der Ressourcen und Beistellungen, unvorhergesehene Probleme bei den Schnittstellen, und latenten, schlecht gelenkten Disput über die vereinbarten Lieferungen und Leistungen. Die Stimmung im Projekt war bereits dabei, sich auf Positionen zurückzuziehen und diese zu sichern. Weiterer Ärger stand mit dem näher kommenden Termin für einen ersten Testlauf des Gesamtsystems ins Haus, weil dieses noch nicht so weit fertiggestellt war.
Das Ergebnis:
In nackten Zahlen stellte sich das so dar:
- Einsparung Projektleiter 6 Monate x 20 Arbeitstage x 150 Euro = 18.000 Euro
- Verzug des Projekts ca. 6 Wochen x 6 Mitarbeiter-FTE à 600 Euro/Tag = 108.000 Euro
- Vertragsstrafe bei Verpassen des Integrationstest-Meilensteins 100.000 Euro (Wahrscheinlichkeit ohne Sanierung ca. 80%) = Risikowert 80.000 Euro
- Kalkulation Mehraufwand für Sanierung ca. 4 Wochen zusätzliche 4 FTE = 48.000 Euro plus mein Honorar 24.000 Euro
Das Fazit:
Die Entscheidung, einen billigeren, aber nicht ausreichend qualifizierten Projektleiter zu engagieren, hatte das Unternehmen nach einem halben Jahr also bereits 90.000 Euro gekostet. Hinzu kamen 72.000 Euro, um den harten Meilenstein halten zu können und die Vertragsstrafe von weiteren 100.000 Euro zu vermeiden. Angesichts eines Risikowerts von 80.000 Euro und ohne Sanierung zu erwartende, weitere Verzögerungen eine betriebswirtschaftlich vertretbare Option. Insgesamt also Mehrkosten / Margenverlust durch unangebrachte “Sparsamkeit” am falschen Ende zu Projektbeginn ca. 162.000 Euro ! Ich habe nicht nachgefragt, wieviel Marge sich das Systemhaus ursprünglich bei diesem Projekt erhofft hatte…
Selten bekommt man die Gelegenheit, so ein Audit “mit Ansage” durchführen zu dürfen, denn nur wenige Executives wollen sich die Blöße, einen Fehler transparent zu machen, geben. Aber das Beispiel zeigt – nach meiner Erfahrung repräsentativ – wie wenig gutes Projektmanagement im Management immer noch wertgeschätzt wird (= sein Business Value), und dass ein guter Projektmanager gar nicht so viel kosten kann, wie ohne ihn an Geld verbrannt wird. Und es gibt auch eine Ahnung, wieviel mehr noch es gekostet hätte, wenn der Geschäftsführer nicht statt auf „Bordmittel“ zu hoffen die Größe gehabt hätte, eine echte Lösung zu betreiben und um Hilfe zu bitten…
Lesen Sie hier mehr zum Thema Projektsanierung…
Ein sehr schönes Beispiel, es spricht mir aus der Seele.
Ich kann oft nicht mehr hinsehen, wenn am Projektmanagement gespart wird. Große Firmen bezahlen den Vorständen Millionen, aber Projektmanagement kann man getrost “nach Preis” einkaufen. Die Erkenntnis, dass ein Projektmanager eben nicht so gut ist wie der andere, scheint sich häufig nicht durchzusetzen, selbst wenn schon einige Projekte viel zu teuer bezahlt werden mussten.
Also: danke für diesen Beitrag!
Hallo Herr Zeumer,
solche Projekte kenne ich aus meinen 24 Jahren im IT-System-Vertrieb im Krankenhaus genügend. Projekt ist immer nur so gut wie der Projektmanager und wie die Settings durch den VB waren! Als Account-Manager habe ich auch eine Reihe Projekte übernommen, die schon fast in den Brunnen gefallen waren. Es ist mir aber immer gelungen diese zusammen mit dem Kunden zu retten und positiv für beide Seiten zu gestalten. Hat aber immer viel Kraft und Engagement gekostet.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Jürgen Friedrich
Dipl. Ing. für Umwelt – u. Hygienetechnik
Gebäudeenergieberater HwK
Hallo Herr Zeumer,
ein schönes Beispiel, die Zahlen sprechen für sich und werden normalerweise auch von fachlich häufig Projektfernen Führungskräften verstanden.
Ich empfehle die Aufrechnung eines Verzugstages und die Risikobenennung in € für die Kalkulation bereits vor dem Projektstart und in Prozent für den Managementabgleich mit dem Gesamtvolumen.
Im Beispiel wurden anfänglich ca. 3% des gesamten Projektvolumens “gespart”, was am Ende zu einer fast 30% -igen Kostenerhöhung führte. Von Margen brauchen wir in den meisten Fällen dann schon gar nicht mehr zu reden.
Die Wahl eines PM, dem objektiv Skills fehlen um ein 100% Match zu erreichen, während ein solcher Match doch verfügbar ist, ist mehr als Fahrlässig. So “spart” man sich jedes Projekt kaputt und “verbrennt” den 90% Matchler (besonders schlimm bei internen PMs).
Mit bestem Gruß,
Hans-Georg Nachreiner
Hallo Herr Zeumer,
auch wenn ich Ihre Meinung grundsätzlich teile kann ich das Fazit nicht ganz unterschreiben: Nicht in allen Projekten ist der Projektleiter mit dem “höhren Tagessatz” bzw. mit dem “umfangreicheren Qualifikationen” auch die bessere Wahl. Es kommt, wie in jedem Projekt, auf die wichtigsten Anforderungen an.
Daher denke ich, man muss die Sache noch ein bisschen weiter hinterfragen, z.B.:
* welche Qualifikation war denn konkret geringer?
* in wie weit wäre die zusätzliche Qualifikation bei diesen Problemen tatsächlich zum tragen gekommen?
* … etc.
Klar ist es einfach im Nachhinein zu sehen, was alles schief gelaufen ist, aber zu behaupten, dass dies alles bei einer “qualifizierteren” Besetzung nicht passiert ist halt auch eine ziemlich grosse Annahme, die der Kunde “schlucken muss”.
Entsprechend muss man auch die “nackten Zahlen” vervollständigen, beispielsweise fehlt:
* Welches Restrisiko wäre dabei gewesen, dass der “qualifiziertere PM” das Projekt tortzdem “vergeigt”?
Wenn man schon anfängt “mit Risiko zu rechen”, dann aber bitte dass gesamte Risiko kalkulieren.
Aber ansonsten ein sehr schöner Artikel auch eine sehr gute Idee diese Audit anzubieten… vielen Dank dafür!!! (auch wenn ich mit meinem Kommentar sehr spät komme)
Hallo Herr Gospos,
ich gebe Ihnen in allen Punkten recht. Mir kommen halt leider immer wieder Projekte unter, in denen eben an solchen “Commodities” wie Projektmanagement teuer gespart wurde. In diesem geschilderten Projekt sogar mit Ansage. Und darum geht es ja letztlich in dem Artikel: Die Projektmanager, die sich über den Preis verkaufen, sind oft nicht genügend (Methodik, Erfahrung, Führungsqualitäten, Sozialkompetenz usw.) qualifiziert, werden aber, weil billig, den guten, aber “teuren” häufig vorgezogen. Das erlebt man insbesondere dann vermehrt, wenn das Recruiting über den Einkauf und mit Personalprovidern erfolgt, wo der “best Price” zählt, oder wenn der Einkauf “nach Preisliste” das Honorar ohne Ansehen der Qualifikation diktieren will. Und dann werden die Projekte halt auch meist teurer als mit dem etwas “teureren”, dafür aber besseren Projektmanager.
Beste Grüße
Henning Zeumer