Erfolgreiche Digitalisierung ist eine ambitionierte Transformationsaufgabe. Sie setzt einen umfassenden Wandel der Unternehmen nach innen und nach außen voraus, der weit mehr erfordert als die Implementierung neuer Technologien. In den Blick zu nehmen sind: Geschäftsmodell, die gesamte Organisation mit ihren Mitarbeitenden, sämtliche Betriebsabläufe sowie Kundenbeziehungen. Digitale Transformation bedeutet, die Möglichkeiten der Digitalisierung „End-to- End“ auszuschöpfen und zu nutzen.
Was in der ersten Umbruchphase noch funktionierte – mit digitalen Produkten und Services anzutreten, die Organisation aber weitgehend analog zu belassen –, wird künftig kein gangbarer Weg mehr sein. Die Zeit von Digitalisierungsasymmetrien geht zu Ende, denn sie bedeuten ineffiziente Medienbrüche in den neuen, digitalen Prozessen. Lösungsraum und -möglichkeiten differieren je nach Branche. Folgende sieben Ansatzpunkte gehören zu einem zielorientierten Vorgehen:
1. Systematische Überprüfung und Anpassung des Geschäftsmodells.
Erfolgversprechend ist, quasi eine „Digital Due Diligence“ in eigener Sache durchzuführen – also das digitale Wertschöpfungs- und Wachstumspotenzial so zu checken, wie es ein Käufer für ein avisiertes Zielunternehmen tun würde. Der Fokus sollte darauf liegen, einerseits digitale Zukunftsfelder zu entdecken und zu besetzen, andererseits eine Strategie zu entwickeln, Wettbewerbern im digitalen Wettlauf den entscheidenden Schritt voraus zu sein.
2. Entwicklung grundlegender Fähigkeiten bei Datenanalyse und -nutzung.
In zunehmend digitaler werdenden Märkten werden diejenigen Unternehmen einen Vorsprung besitzen, die den Wert interner und externer Daten frühzeitig erkennen und heben. Wer beim Stichwort Monetarisierung von Daten allein an den Verkauf denkt, springt viel zu kurz. Unternehmen müssen im weitesten Sinne einen wirtschaftlichen Nutzen daraus genieren. Dieser kann auch darin liegen, mit Daten die Produkt(weiter)entwicklung zu beschleunigen oder Prozesse entlang der Wertschöpfungskette zu optimieren.
Hierzu gehört auch die Revision aller bisherigen Vorschriften und Regeln, die für eine analoge Vorgangsbearbeitung vielleicht notwendig waren. Eine genaue Prozessanalyse und folgerichtig -optimierung ist die Grundlage digitalisierender Transformationsvorhaben.
3. Ausbau und Weiterentwicklung der IT- und Datenarchitektur.
Die schnelle Umsetzung der zuvor genannten digitalen Zukunftsstrategien und Optimierungen gelingt nur auf Basis einer passenden technischen Infrastruktur sowie mit fähigen und schlagkräftigen Teams. Der Leiter des IT-Ressorts eines Unternehmens ist nicht unbedingt zum Kopf der digitalen Transformation zu entwickeln, sollte aber dessen Kraftwerk sein. Daten-, IT- und digitale Transformation sollten idealerweise aus einem Guss konzipiert, aber nicht als Großprojekte umgesetzt werden, sondern agil und in überschaubaren Sprints mit einem übergreifenden, strategisch denkenden Programmmanagement.
4. Nutzung von Software-Robotern und intelligente Automatisierung.
Um schnelle Digitalisierungserfolge ohne komplexe und zeitintensive Änderungen an der bestehenden IT-Infrastruktur zu erzielen, rücken robotergestützte Prozessautomatisierung (RPA) und die technologisch weiter reichende intelligente Automatisierung mehr und mehr in den Fokus.
Zunehmend werden klassische RPA-Anwendungen mit KI-Lösungen kombiniert, was die Automatisierung manueller und repetitiver Tätigkeiten wie Rechnungsprüfung oder Berichtswesen mit Einsparpotenzialen von bis zu 30 Prozent vor allem in der Verwaltung ermöglicht – bei einer Amortisationszeit von wenigen Monaten. Intelligente Automatisierung stellt einen wichtigen Hebel für Unternehmen dar, um in das KI-Zeitalter einzutreten und einen direkten und messbaren Nutzen zu erzielen.
5. Nahtlose Integration neuer Technologien.
Auch wenn derzeit der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) in aller Munde ist, hat das Portfolio disruptiver Tools und Anwendungen ein weitaus breiteres Spektrum erreicht. Das Web 3.0 als dezentralisierte Informationsübermittlung, Datenwirtschaft via Blockchain oder Peer-to-Peer-Organisationen erobern stetig mehr Branchen und Bereiche. Mit Metaverse entwickelt sich das Internet in einen dreidimensionalen Raum weiter. Auch die Tokenisierung, also die digitale Abbildung von Vermögenswerten, nimmt über den Versicherungs- und Finanzsektor hinaus rasant an Fahrt auf – schließlich lassen sich technologisch betrachtet auch Industrieanlagen, Kraftwerke und Patente quasi zerlegen und „tokenisieren“.
Tokenisierung und die Evolution zum Web 3.0 werden die ökonomischen Kräfteverhältnisse neu verteilen. Es entsteht ein Markt, den der Staat über Regulatorik und Anreizprogramme mit fördern sollte. Das Rennen um die globalen Hubs geht gerade in die zweite Runde.
6. Aufbrechen von Abteilungssilos zur Steigerung digitaler Innovationskraft.
So sehr das IT-Ressort die digitale Transformation auch technisch exzellent vorantreiben mag – wenn die übrigen Abteilungen in ihren gewohnten Hierarchien und Abläufen verharren, gibt das Unternehmen gewissermaßen Vollgas im Leerlauf. Um das inhärente Innovationspotenzial der Organisation gerade in der Digitalisierungsphase zu heben, braucht das Unternehmen unbedingt abteilungsübergreifende Prozesse und Tools sowie explizite Verantwortliche, die überwachen, motivieren und incentivieren.
7. Initiierung eines Kulturwandels in den Belegschaften.
Die Transformationsaufgabe erfordert schließlich auch eine Anpassung von Kultur und Führung. Dies ist wichtig, um die Beschäftigten mitzunehmen und für Veränderungen zu begeistern.
Ein zentraler Erfolgsfaktor ist das Narrativ, auch wenn dies manchem zuweilen überstrapaziert vorkommt. Die Unternehmensführung muss den Beschäftigten erklären, welche Vorteile und welcher Nutzen mit einem digitalen Umbau einhergehen, für das Unternehmen, aber besonders auch für den einzelnen Mitarbeiter. Es gilt, Optimismus aufzubauen, aber auch Risiken und Herausforderungen transparent zu adressieren und kontrolliert Wagnisse einzugehen.
Letzteres führt zur spannenden und emotional besetzten Frage nach den gesamtwirtschaftlichen Effekten auf dem Arbeitsmarkt durch eine von KI-Tools beschleunigte Digitalisierung. Die ersten Abschätzungen sind auf dem Markt und finden – auch medial – große Beachtung. Forscher des Start-up-Unternehmens OpenAI haben zusammen mit Wissenschaftlern der Universität von Pennsylvania ermittelt, dass KI-Anwendungen bis zu 80 Prozent aller Jobs in den USA beeinflussen. Bei ihnen kann mindestens ein Teil der Tätigkeiten von einem KI-Tool übernommen werden. Fast ein Fünftel der Beschäftigten arbeitet in Jobs, deren Tätigkeiten sogar bis zur Hälfte von KI ausgeführt werden können. In einer anderen Studie schätzt die Investmentbank Goldman Sachs, dass weltweit mit generativer KI ungefähr 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätze automatisierbar seien.
Die Arbeitsmarktdebatte kann mit zwei grundsätzlichen Hinweisen eingeordnet werden. Erstens ist das Ende der Arbeit und eine neue Ära der Massenarbeitslosigkeit schon in früheren Automatisierungsperioden von Kritikern ausgerufen worden – aber faktisch nicht eingetreten. Zweitens kommt der Schub im Zuge des demografischen Wandels für einen Standort wie Deutschland wahrscheinlich gerade recht. Mit unserem real längst eingetretenen Arbeitskräftemangel werden wir am Ende froh sein, wenn KI künftig Joblücken stopft. Deutschland braucht auch bei der Einführung digitaler Technologien eine Willkommenskultur.
Mitarbeiter qualifizieren und umsetzen statt entlassen
Ein dritter Aspekt tritt hinzu: Repetitive Arbeiten sind meistens in der Verwaltung anzutreffen, wo feste Sachverhalt-Folge-Relationen und Entscheidungsregeln sehr einfach digital automatisiert werden können. Es ist sogar denkbar, dass Prozesse von selbstlernender KI weiterentwickelt und optimiert werden. Hier wird menschlicher Einsatz nur noch in der Form von Plausibilitäts- und Qualitätsprüfungen notwendig sein. Eine immense Rationalisierung und Kosteneffizienz-Steigerung werden möglich. Hingegen erfordert der Markt mit zunehmender Transparenz je nach Geschäftsmodell mehr kundenorientierte Serviceleistungen im Verkauf, Kundendienst und After Sales. Hier werden folglich mehr qualifizierte Arbeitskräfte benötigt. Damit empfiehlt sich eine Weiterbildung und Umsetzung der vorhandenen, jetzt freigesetzten Backoffice-Kräfte, die ja ohnehin oft auch mit den Vorgängen „an der Front“ bereits weitgehend vertraut sind, mit Job-Anreicherungs-Maßnahmen.
In Auszügen Quelle: Handelsblatt Research Institute, Roland Berger, 2023: State of the Nation – Erfolgsfaktor Transformation
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