Manchmal braucht es etwas länger, bis man einen Zusammenhang entdeckt, weshalb ich diesen Artikel auch gerne in meine persönlichen Lessons Learned einordne: Schon in einem sehr frühen Beitrag habe ich mich und meine Leser gefragt, warum es so schwierig ist, Executives gutes Projektmanagement zu “verkaufen”. Ein Grund dafür mag darin bestehen, dass Menschen – auch Manager – unter “Projekt” und “Projektmanagement” durchaus Unterschiedliches verstehen, je nachdem, wie und wo sie Ihre Laufbahn erfahren haben. Entsprechend gibt es deshalb auch viele, die sich „Projektmanager“ nennen, aber noch kein richtiges Projekt gemanagt haben.
Beispiele zum “Wesen” von Projekten
Die folgenden Beispiele sollen Managern und Projektleitern helfen, das „Wesen“ ihres Projektes besser zu verstehen und dadurch zielführender an die Aufgabe des Projektmanagements heranzugehen.
Beispiel Automotive: Bei den großen Autoherstellern wird ein Automodell (z.B. der VW Bus) oft als „Programm“ bezeichnet, die einzelnen Baureihen davon (T1, T2, …, T6) sind dann „Projekte“, und zwar solche, die bis zur Ablösung der Baureihe laufen. Das widerspricht der “offiziellen” Definition in der Projektmanagement-Lehre und DIN/ISO 21505 insofern, als dass Projekte einen definierten Anfang und Ende haben und in dieser Zeit etwas Neues (Produkt oder Service) entwickeln müssen. Das wäre mit der Entwicklung der neuen Baureihe erledigt. Die Serienproduktion fiele nicht unter den Begriff “Projekt”. Es hält aber auch die Zulieferer nicht davon ab, der Sichtweise ihrer OEMs in der Entwicklung und laufenden Produktion ihrer Komponenten zu folgen.
Ein anderes Beispiel ist die Auftragsfertigung, wo nach den Spezifikationen des Kunden die Komponenten, das Zubehör oder die Verpackungen entwickelt und dann in Serie produziert werden. Für diese „Projekte“ gibt es zumeist bewährte Vorgehensmodelle, die die einzelnen Projektschritte in ihrer Sequenz und ihrem Inhalt genau beschreiben und damit ein “Vergessen” wichtiger Arbeiten verhindern sollen. Auch hier gehört aber zumindest die Serienfertigung nicht mehr zum Projekt.
Was ist dann also ein Projekt!?
Der nach der oben genannten Definition für ein Projekt charakteristische, innovative Teil des Projekts wird dadurch auf die Leistungen reduziert, die das Produkt an die Spezifika der neuen Baureihe bzw. des Kundenprodukts anpassen. Eine fortlaufende Produktion sieht die Definition für Projekte gar nicht vor. Das ist vielmehr Programm-Komponenten bzw. dem laufenden Betrieb vorbehalten. In den vorgenannten Beispielen ist die serienmäßige Anwendung des im Projekt entwickelten Produkts oder Service jedoch meist der Hauptbestandteil des „Projekts“.
Zur Verdeutlichung: Der aus der Werbung allseits bekannte Mensch, der mithilfe seines Baumarkts „sein Projekt macht“, führt ein nach der Definition richtiges Projekt durch: Er hat sich das Wochenende über dafür Zeit genommen, er plant seine Aktionen und Materialien, arbeitet die Aufgaben ab und hat zum Schluss sein „Werk“ geschafft – neu und einmalig. Punkt, Ende.
Wie fehlerhaftes Projektverständnis viele Executives dazu bringt, keine richtigen Projektmanager einzusetzen
Zurück zu unseren Industrie-Beispielen. Derart “zweckentfremdet” bekommen solche „Projekte“ auch ein zumeist sehr fachlich fokussiertes “Projektmanagement”. Das bedeutet in der Regel einen erfahrenen Ingenieur, der das Vorgehensmodell und die Arbeitsschritte, Werkzeuge, Materialien, Vorlieferanten usw. gut kennt und die Abarbeitung des Vorgehensmodels steuert.
Auf Kenntnisse oder eine Ausbildung in dem, was ich unter Projektmanagement verstehe, also z.B. versiertes Umgehen mit Unsicherheit, Risiken, sich änderndem Scope, Zeit- und Kostenplänen, Teambuilding, Koordination des Teams und eventueller Vorlieferanten, Kommunikation, Führung usw., also das Projekt planen und steuern, wird hier nicht so viel Wert gelegt – es ist in dieser doch weitgehend geregelten Umgebung vermeintlich auch nicht unbedingt notwendig oder kann “nebenbei” erledigt werden. Meist ist dafür ein technischer Leiter im Unternehmen zuständig und die Projektmanager betreuen unter Umständen auch viele Projekte gleichzeitig.
Ein sogar ignorantes Projektverständnis im C-Level erlebe ich leider auch nicht selten: „Wir stellen jemanden für X Euro im Monat ein und geben ihm ein paar Projekte. Für das Gehalt wird er die doch wohl managen können!“ Ob wohl die Auswahl und Erwartungshaltung in Bezug auf das zu führende Unternehmen bei der Einstellung eines Geschäftsführers ähnlich ist…?
Daher werden Zeitverzüge und Kostensteigerungen auch eher technischen Schwierigkeiten zugerechnet und nicht eventuell mangelhaftem Management im Projekt und fehlendem Überblick, Steuerung oder Führung. Und deshalb sehen die Executives dieser Unternehmen auch nicht, was ihnen entsprechende Skills bei ihren Projektmanagern oder eben “richtiges” Projektmanagement zusätzlich zur “Abwicklung” durch die technischen Projektleiter (z.B. mit “Doppelspitzen”) an Projektkosten-Ersparnis, Time-to-Market und ROI bringen würden.
Kein Problem einzelner Branchen !
Selbst in Unternehmen, deren Kerngeschäft tatsächlich “definitionsgerechte” Projekte sind, ist diese Erkenntnis nicht unbedingt weit verbreitet: In der Beratung, Software-, Maschinen- und Anlagenentwicklung oder gar Forschung sind neben technischen auch kreative Tätigkeiten gefordert. Der Faktor Unsicherheit und Risiko ist also unvergleichbar höher, Ideenaustausch, Kommunikation und Zusammenarbeit im Team sind kritische Erfolgsfaktoren.
Leider gaukeln auch in diesen Branchen oft Vorgehensmodelle (z.B. Sure Step und ValueSAP), PM-Handbücher oder Standards (z.B. V-Modell, PRINCE2 und ITIL) Sicherheit und geregeltes Vorgehen vor. Diese Tools und Guidelines sind gute und wichtige Hilfsmittel, ersetzen jedoch nicht ihre fachgerechte Anwendung im Rahmen eines guten Verständnisses für ihr Anwendungsgebiet Projektmanagement durch einen methodisch versierten Projektmanager. Denn was nutzt es mir, wenn sich mein Projektmanager genau an Sure Step gehalten hat, ihm aber trotzdem Zeit und Kosten davongelaufen sind?!!!
Auch in agilen Projekten relevant
In der Hoffnung, endlich bessere Projekte zu bekommen, ruft auch manch ein Manager den agilen Wandel aus. Nur wenigen davon ist bewusst, was Agilität für das Unternehmen und damit auch für die Führungsebene bedeutet, nämlich dass agiles Vorgehen in Projekten nicht ein sachdienliches Projektverständnis ersetzt und beim Management zusätzlich ein Sich-Hineindenken in und Sich-Einlassen auf agile Methodik voraussetzt.
Das agile Projektteam sich mit ein paar Scrum-Artefakten selbst organisieren lassen, dann aber eine feste Planung und Berichte mit fixen Meilensteinen, Deliverables und Budgets erwarten, das wird auch in agilen Projekten schiefgehen. Wo agile Projekte gemacht werden, muss auch das Management agil „ticken“. Ohne richtiges Projektverständnis und Kenntnis und Beherrschen der Projektmethodik ist jedes Projekt zur Krise verurteilt!
Deshalb muss es immer jemanden geben, der im Projekt “hauptberuflich” den Überblick behält, die Fäden zusammenhält, steuert und das Team führt: Einen Projektmanager, der eben diese Skills besitzt und am besten auch methodisch gelernt und trainiert hat. Fachliche Kenntnisse sollten bei dieser Führungsperson untergeordnet und den Spezialisten im Team vorbehalten sein.
Warum professionelles PM gerade jetzt so wichtig ist
Fassen wir also zusammen: Es sind ein “unvollständiges” Projektverständnis und/oder eine gefühlte Sicherheit durch Tools, die Executives oft dazu verleiten, die Aufgabe Projektmanagement zu unterschätzen und in ungeeignete Hände zu geben. Mit den gravierenden Folgen, die viele Statistiken belegen, nämlich dass immer noch die Mehrzahl der Projekte weltweit ihre Ziele hinsichtlich Zeit, Kosten und Inhalt nicht plangerecht oder gar nicht erreicht, und dass viele Deckungsbeiträge verbrannt oder Investitionen abgeschrieben werden. Das als „in Projekten ganz normal“ anzusehen mögen Politiker sich selbst verzeihen und schönreden können, Geschäftsführungen oder Aufsichtsräte müsste es auf den Plan rufen!
Was aber noch keine Statistik zeigen kann, sind die Auswirkungen, die ein Fortbestand dieser Fehleinschätzung und “Verweigerung” im Zuge der gerade rasch voranschreitenden Digitalisierung und des damit verbundenen umwälzenden Wandels haben wird. Denn Projekte sind per Definition dazu gemacht, Veränderungen umzusetzen – das sollte professionell und verantwortungsvoll angegangen werden!