Beitrag zur Blogparade: Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts?
Das Projekt Magazin (PM) hat mich eingeladen, mich an seiner diesjährigen Blogparade zu aktuellen Themen im Projektmanagement zu beteiligen. Das Fokus-Thema 2019 ist „Wir arbeiten jetzt agil / digital / selbstorganisiert! – Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts?“
Um das Thema in Gänze zu behandeln, stellt das Projekt Magazin wie üblich eine ganze Reihe Fragen. Da ich seit mittlerweile fünf Jahren für das Magazin als Blogautor tätig bin, bin ich das erstens gewohnt und finde es zweitens inhaltlich richtig, denn die Fragen zielen jeweils auf andere Aspekte und Nuancen.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht, alle Fragen zu separieren und zu beantworten. Bitte beachten Sie, dass ich als Projektsanierer meistens in Krisenprojekten unterwegs bin und da zur Rettung im Großen und Ganzen bereits freie Hand habe.
Das Interview
Projekt Magazin: „Welche Spielräume haben Sie in Ihren Projekten, um auch mal andere Ansätze auszuprobieren und bewusst neue, einfache Wege zu gehen?
Henning Zeumer: Die Spielräume nehme ich mir, um die Projekte aus der Schieflage heraus zu führen. Selten muss ich da „probieren“ sondern kann situativ angemessen auf vielfach Bewährtes meiner Projektmanagement-„Trickkiste“ zurückgreifen. Das kann für das Unternehmen aber natürlich ein ganz anderes Vorgehen als bisher sein…
PM: Inwieweit lassen Unternehmen den Projektleitern, Scrum Mastern und Product Ownern sowie Beratern freie Hand bei der Wahl des Vorgehens, in der Projektplanung, bei der Kommunikation oder bei der Art der Zusammenarbeit im Team (Stichwort Selbstorganisation)?
Henning Zeumer: Da die Projekte, in die ich gerufen werde, an der bisherigen Projektmanagement–Praxis gescheitert sind, lassen mir die Projektverantwortlichen im Management in der Regel freie Hand, Hauptsache ich bringe die Projekte wieder auf Erfolgskurs. Indem ich dem Team mehr Eigenverantwortung gebe (siehe mein Artikel https://eobz.de/?p=2997) steigere ich meist sowohl Motivation als auch Produktivität.
PM: Und mit welchen Ansätzen haben Sie Erfolg?
Henning Zeumer: Mit allen, die ich der Situation angemessen einsetze. Ich bin da nicht dogmatisch, denn das würde dem Projekterfolg entgegenstehen. Agil ist nicht das vielgepriesene Allheilmittel, und „Klassisches Projektmanagement“ ersetzt oft nur Unsicherheit durch Irrtum. Vielmehr ist es der sinnvolle Mix eines sinnvollen, hybriden Vorgehens, der dem Projekt und der Unternehmenskultur angemessen wieder auf die Sprünge hilft und es vorwärts bringt.
PM: Dahinter steht auch die Frage, ob der Hype um agile Unternehmen und der Ruf nach einer Kultur, die den Menschen verstärkt ins Zentrum stellt, von den Organisationen ernsthaft aufgegriffen und langfristig verfolgt wird. Gerade Projektteams haben die Chance, Veränderung im Unternehmen zu initiieren. Können und dürfen Sie etwas einfach anders machen? Wird es wertgeschätzt, wenn Sie ausgediente Prozesse, starre Hierarchien und Silodenken aufzubrechen versuchen – oder gelten Sie dann als Querulant, der Unruhe ins Unternehmen bringt?
Henning Zeumer: Der Begriff „Hype“ trifft es schon recht gut. Es gibt viele Kollegen, die das Mantra, Agil sei die einzig wahre Vorgehensweise und Projektmanagement habe ausgedient, vor sich hertragen. Die blenden aber aus, dass es nicht damit getan ist, ein Projekt agil durchzuführen. Das Unternehmen und seine Führungskultur muss ebenfalls agil „ticken“, um die Vorgehensweise erfolgreich zu unterstützen. Das sind aber – gerade in Deutschland – die wenigsten gewachsenen Unternehmen.
Hier muss man als Projektleiter, wo es nützlich ist mehr Eigenverantwortung und interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team fördern, dem Management gegenüber aber im Berichtswesen oft den „Übersetzer“ spielen und Rahmenpläne für die Entwicklung bauen. Der Erfolg des hybriden Vorgehens beschert mir meistens das Vertrauen beider Seiten, und das gerettete, vormalige Krisenprojekt wird oft zum Vorbild für andere. Dann setzt vielfach auch ein Prozess der Veränderung im Unternehmen ein bis hin zur Unternehmens- und Führungskultur.
PM: Zudem interessiert uns Ihre Motivation dafür, Neues in Ihren Projekten ausprobieren: Tun Sie es, weil Sie das Gefühl haben, mit dem althergebrachten Vorgehen nicht mehr zukunftsfähig zu sein? Oder um Ihr Profil als Projektmanager im Unternehmen zu schärfen? Oder kommen Sie damit vornehmlich den Wünschen von Vorgesetzten oder Ihrer Teammitglieder nach?
Henning Zeumer: In meiner Rolle als Projektsanierer setze ich das ein, was wirkt. Das ist auch die Erwartung meiner Auftraggeber und meines Teams. Zukunftsfähigkeit hängt nicht vom Zeitpunkt der Erfindung ab sondern von der Wirksamkeit. Und da haben alle Ansätze, die Projekte erfolgreich machen sollen, ihre Daseinsberechtigung, denn sie wurden mit eben dieser Intention „erfunden“, sind bewährte „Best Practices“ im Projektmanagement. Das geht nicht verloren, nur weil jemand etwas Neues „erfindet“ und vermarktet. Und wie schon gesagt: Ich probiere ja im Grunde nichts Neues sondern Bewährtes, von dem ich überzeugt bin. Denn iterative und inkrementelle Ansätze und durch gutes Teambuilding verschworene, weitgehend autonom arbeitende Teams gab es ja schon lange bevor das Agile Manifesto geschrieben wurde.
PM: Wie haben Sie die Art der Zusammenarbeit und die Projektkultur in Ihrer Organisation verändert? Wer hat Sie dabei unterstützt, wer eher gebremst und mit welchen Vorschlägen liefen Sie offene Türen ein bei Kollegen und mit welchen bei Entscheidern?
Henning Zeumer: Die vielen erfolgreich sanierten Krisenprojekte haben eigentlich fast immer zu einer Veränderung in der Projekt-, oftmals auch der Unternehmenskultur beigetragen. In vielen Fällen wurde das Begleiten dieses Veränderungsprozesses auch zu meinem Folgeauftrag. Gebremst hat uns niemand, höchstens beim Tempo des Stakeholder Managements aus politischen Erwägungen, denn wenn es spürbare Erfolge und Verbesserungen bringt, hat man alle guten Argumente auf seiner Seite.
Offene Türen muss man sich auch erst schaffen, denn anfangs herrscht in Krisenprojekten halt auch eine misstrauische Krisenstimmung. Da braucht es vertrauensbildende Maßnahmen und authentisches Überzeugen. Die Kollegen im Team haben sehr oft schon ein gutes Gespür gehabt, dass und was schiefläuft, und lassen sich dann auch gern auf „etwas Neues“ ein. Im Management steht oft viel Politik im Weg. Da ist die Unterstützung und die Position meines Auftraggebers wichtig für ein schnelles Greifen der Veränderungsmaßnahmen im Umfeld der Projekte und des Projektmanagement-Vorgehens, bevor dann die Argumente selbst Wirkung zeigen.
PM: Und welche Projekte eignen sich am besten, um Veränderung anzustoßen? Eher so gut wie unentdeckt ablaufende U-Boote oder mit viel Pomp ins Leben gerufene Leuchtturmprojekte?
Henning Zeumer: Ich will nicht sagen, dass kleine Projekte nichts bewirken, denn wenn Veränderung der Auftrag ist sind diese oft der Proof of Concept. Aber am wirkungsvollsten sind taumelnde, strategische Projekte mit hoher Management-Aufmerksamkeit, wenn sie gerettet werden können und dann spürbaren Unternehmensnutzen bringen. Dann kommt meist sogar vom Vorstand die Frage auf mich zu, was man tun muss, damit sich eine solche Krise nicht wiederholt, und wie man sich für Projektarbeit zukunftssicherer aufstellen kann. Veränderung im Unternehmen fangen ganz oben an !
PM: Macht das Anders-machen die Projekte besser, effizienter, erfolgreicher – oder handelt es sich dabei um Spielereien, deren größter Nutzen darin besteht, gelangweilte Mitarbeiter und geltungssüchtige Führungskräfte zufriedenzustellen?
Henning Zeumer: Nicht das Anders-machen, sondern das Richtig-machen. Das ist zwar in den meisten Fällen anders als die bis dahin gescheiterte Vorgehensweise, aber nicht notwendigerweise etwas Neues. Oft sind die Fehler sehr trivial und/oder gar nicht im Projekt selbst zu finden. Dazu gehört natürlich auch, wenn die Projektverantwortlichen besonders „trendy“ sein wollen und für sich die Agilität ausrufen, ohne agil zu denken oder zu sein.
Das spricht übrigens auch sehr dafür, den Veränderungsprozess von jemandem begleiten zu lassen, der von Transformationen Ahnung hat. Das heißt in den meisten Fällen: Nicht in Eigenregie …!